Gestreckte Ohrläppchen, eine Tradition

Die Geschichte der Körpermodifikation ist so lang wie die Geschichte der Menschheit selbst. Menschen aus verschiedenen Kulturen und Zeitabschnitten auf der ganzen Welt haben ihre Ohrläppchen gedehnt, weil der Knorpel des Ohrs eine ausreichende Festigkeit hat, um große Schmuckstücke zu halten, die in gepiercte und gedehnte Ohrläppchen gesteckt werden. Wir halten das Dehnen für einen modernen Brauch, aber in Wirklichkeit ist es in vielen Kulturen seit Tausenden von Jahren Tradition.

Die Alte Welt

Körperpiercings und gedehnte Ohrläppchen wurden in ritueller Form in alten Zivilisationen in Mesoamerika und Südamerika durchgeführt, insbesondere in den Kulturen der Maya, Olmeken und Azteken. Die Frauen der Matsés und Matis vergrößerten ihre Ohrläppchen mit Schmuck, trugen bunte Körperbemalung und hatten zahlreiche Piercings, um ihre Stärke zu demonstrieren. Viele aztekische Männer fertigten Schmuck aus Gold und Silber an, um zu zeigen, dass sie einer höheren Klasse angehörten, während Männer aus der Unterschicht Stecker aus leicht verfügbaren Materialien wie Holz und Kupfer trugen. Die Männer der höheren Klasse des Maya-Stammes trugen Schmuck aus Jade, während die Männer der unteren Klasse Holz, Knochen und Stein trugen.

König Tutanchamun

Sowohl die Maske als auch die Mumie von König Tut zeigen, dass er gestreckte Ohrläppchen hatte. In der Pyramide, in der er gefunden wurde, befanden sich unter anderem ösenartige Schmuckstücke, von denen Archäologen glauben, dass sie als Stecker oder Ohrringe verwendet wurden.

Der Eismann

Der „Mann vom Hauslabjoch“, auch bekannt als Ötzi der Eismann, wurde in den Alpen zwischen Österreich und Italien gefunden. Er ist der älteste mumifizierte Körper, der bisher entdeckt wurde, und er hatte auch gedehnte Ohren! Sie waren auf das Äquivalent eines 0-zu-00-Maßes gedehnt. Otzi hatte auch zahlreiche Tätowierungen, die sich an Akupunktur-Druckpunkten befanden.

Buddha

Bevor Buddha den Weg des minimalistischen Lebens wählte, trug er schweren Schmuck wie Edelsteine und massives Gold in seinen Ohrläppchen-Piercings. Dadurch wurden seine Ohrläppchen permanent gedehnt. Als Guatama Buddha beschloss, seinen Reichtum und seinen Besitz aufzugeben, legte er auch seinen Schmuck ab, und so sehen wir den Buddha heute – mit langen Ohrläppchen.

Der Fulani-Stamm

Der Fulani-Stamm stammt aus Nigeria und Zentralafrika. Der Stamm schätzt Schönheit und sieht Schönheit in ihren Piercings und Tattoos. Wenn Fulani-Mädchen drei Jahre alt sind, lassen sie sich die Ohren piercen. Sie dehnen sie nicht so weit wie die Masai und Mursi, aber groß genug, um große verschlungene Goldreifen tragen zu können. Die Mursi sind ein Volksstamm in Äthiopien. Die Frauen dieses Stammes sind dafür bekannt, dass sie sich große hölzerne „Platten“ in ihre gedehnten Ohrläppchen und ihr Unterlippen-/Labellippenpiercing stecken. Wenn die Frauen fünfzehn Jahre alt sind oder kurz vor der Heirat stehen, durchbohrt die Mutter ihre Ohren und ihre Lippe und setzt einen Holzpflock ein. Dies bedeutet, dass das Mädchen nun zur Frau geworden ist. Sobald das Piercing gedehnt und verheilt ist, werden die Holzpflöcke durch größere ersetzt. Wenn die Piercings auf eine bestimmte Größe gedehnt sind und Holzplättchen tragen, erlangen die Mursi-Frauen ein höheres Maß an Respekt als zuvor.

Das Volk der Massai

Das Volk der Massai in Kenia ist bekannt für seine farbenprächtige Kleidung und seine besonderen Bräuche. Sie sind auch für die Materialien bekannt, die sie für ihre Piercings verwenden, vor allem die weiblichen. Das Piercing wird zunächst mit einem scharfen Gegenstand wie einem Messer oder einem Zweig gestochen und dann mit Schmuck aus Tierknochen, Elefantenstoßzähnen oder einer Art Stein offen gehalten.

Dann tragen sie schweren Schmuck im Piercing, um es zu vergrößern. Die Massai setzten weit gedehnte Ohrläppchen oft mit Weisheit gleich, da die älteren Mitglieder größere Ohrläppchen hatten, weil ihre Ohren im Laufe der Jahre beschwert wurden.

Stamm der Soura

Das Volk der Soura, Teil eines Stammes im südlichen Orissa, praktiziert sowohl rituelles Piercing als auch Tätowierung. Die Soura-Frauen tragen oft zahlreiche Ohrringe am Ohrrand und haben auch mehrere Nasenlochpiercings. Sie durchstechen ihre Ohrläppchen mit Dornen oder Pflanzenzweigen und vergrößern ihre Ohrläppchen, bis sie so groß sind, dass sie ihnen bis zu den Schultern reichen.

Asiatische Bergstämme

Die Lahu und Karen-Padaung dehnen ihre Ohrläppchen und tragen komplizierten Schmuck in ihren zahlreichen Ohrlöchern, weil sie glauben, dass die Ohren der heiligste Teil des Körpers sind. Heutzutage ist das Dehnen der Ohren verheirateten Frauen vorbehalten und gilt als Zeichen der Schönheit.

Stamm der Huaorani

Das Volk der Huaorni assoziierte gedehnte Ohren mit Schönheit und begann mit diesem Brauch schon in sehr jungen Jahren. Irgendwann in ihrer Kindheit durchbohrten sie ihre Ohrläppchen mit einem Stück Baumstamm. Im Laufe der Jahre dehnten sie ihre Ohrläppchenpiercings nach und nach mit Steinen und größeren Holzstücken. Sobald sie ein höheres Alter erreicht hatten, entfernten die Huaorani ihren Schmuck und trugen ihre Ohrläppchen in ihrem natürlichen, gedehnten Zustand.

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