Sozioökonomischer Status

Verbindung zwischen Stressbelastung und Depression

Genetische und umweltbedingte Beiträge zur Depression: Eine Meta-Analyse genetischer Epidemiologie-Studien ergab, dass die Erblichkeit der Anfälligkeit für MDD ∼37 % (95 % Konfidenzintervall, 31-42 %) beträgt, was am unteren Ende der Erblichkeit für psychiatrische Störungen liegt. Darüber hinaus gibt es zwar einen minimalen Beitrag gemeinsamer Umweltfaktoren (95 % CI, 0-5 %), aber einen großen Effekt der individuellen spezifischen Umwelt von ∼63 % (95 % CI, 58-67 %) (Sullivan, Neale, & Kendler, 2000). Dies deutet darauf hin, dass Umweltfaktoren einen wesentlichen Beitrag zum Depressionsrisiko leisten. Das Erleben stressiger und traumatischer Lebensereignisse, insbesondere frühkindlicher Stress (ELS), wurde als einer der wichtigsten individuellen Umweltfaktoren genannt, die zum MDD-Risiko beitragen (Green et al., 2010; Kendler, Karkowski-Shuman, & Prescott, 1999; Kendler et al., 1995; Kendler, Kuhn, & Prescott, 2004; Kessler & Magee, 2009).

Proximaler Stress: Während sich diese Übersichtsarbeit auf die Auswirkungen von ELS konzentriert, gibt es auch eine klare und direkte Auswirkung proximalerer Stressoren auf das Auftreten von MDD. Insbesondere geht einem großen Anteil der Ersterkrankungen an MDD ein belastendes Ereignis voraus (z. B. Stroud, Davila, & Moyer, 2008). Einige Studien haben versucht, diesen Effekt anhand von Merkmalen der auslösenden Stressoren zu klären. So war das Depressionsrisiko nach bedrohlichen oder zwischenmenschlichen Stressfaktoren wie Übergriffen, schweren Wohnungs-, Ehe- oder Finanzproblemen usw. besonders hoch. (Kendler et al., 1999). Bei Erwachsenen wurden Ereignisse, die durch Verlust gekennzeichnet sind (vermindertes Gefühl der Verbundenheit), besonders mit dem Auftreten von Depressionen in Verbindung gebracht, während Ereignisse, die durch Gefahr gekennzeichnet sind, häufiger mit dem Auftreten von Angstzuständen verbunden sind (Finlay-Jones & Brown, 1981; Kendler, Hettema, Butera, Gardner, & Prescott, 2003). Eine ähnliche Unterscheidung wurde auch bei einer pädiatrischen Stichprobe von Zwillingen beobachtet (Eley & Stevenson, 2000). Andere Arbeiten haben die Auswirkungen spezifischer Stressfaktoren im Erwachsenenalter auf das Risiko für MDD untersucht. So wurde beispielsweise vermutet, dass fast die Hälfte der weiblichen Opfer von Gewalt in der Partnerschaft an MDD erkrankt (durchschnittliche Odds Ratio (OR), 3,8), wobei eine dosisabhängige Beziehung mit der Schwere der Gewalt besteht (Golding, 1999). Ein niedriger sozioökonomischer Status (SES) wurde ebenfalls als Risikofaktor für Depressionen untersucht; eine Metaanalyse ergab, dass ein niedriger SES (Index nach Einkommen oder Bildungsniveau) die Wahrscheinlichkeit einer Depression erhöht (OR, 1,81), insbesondere für anhaltende MDD (OR, 2,06) (Lorant et al., 2003). Ein niedriger SES hat wahrscheinlich eher chronische und diffuse Auswirkungen als akute Stressoren oder kann als Stellvertreter für bestimmte Stressoren wie finanziellen Stress, unsicheren Arbeitsplatz usw. dienen.

Stress im frühen Leben: Zusätzlich zu den Auswirkungen proximaler Stressoren auf das Auftreten von MDD wurde festgestellt, dass ELS das Risiko für MDD erhöht. Verschiedene Arten von ELS wurden im Zusammenhang mit MDD untersucht, darunter körperlicher und sexueller Missbrauch, Vernachlässigung, Uneinigkeit/Zerrüttung der Familie, Scheidung der Eltern, Tod von Freunden/Familie, Naturkatastrophen, niedriger sozialer Status, elterliche Psychopathologie usw. Epidemiologische Arbeiten von Kessler, Davis und Kendler (1997) deuten darauf hin, dass ein großer Prozentsatz der Personen mit MDS zumindest irgendeine Form von signifikantem ELS erlebt hat (74,4 % berichteten über mindestens eine Widrigkeit in der Kindheit, einschließlich Verlust, elterliche Psychopathologie, interpersonelles Trauma/Missbrauch, Unfälle/Katastrophen usw.). Darüber hinaus sagte die Erfahrung von ELS eine erhöhte Anfälligkeit für alle Formen von Psychopathologie im Erwachsenenalter voraus, wobei die spezifischsten Auswirkungen für Stimmungsstörungen beobachtet wurden. Insbesondere die Erfahrung einer elterlichen Scheidung, körperlicher oder sexueller Missbrauch, Unfälle und Katastrophen sagten alle eine erhöhte Wahrscheinlichkeit des erstmaligen Auftretens einer MDD voraus (alle OR > 1,5, der höchste Wert war 3,01 für wiederholte Vergewaltigung). Im Allgemeinen blieben diese Effekte bestehen, wenn für komorbide Störungen kontrolliert wurde, was auf eine gewisse Spezifität der ELS für das MDD-Risiko hinweist. Schließlich wurde in dieser Arbeit auch ein potenzieller zeitlicher Abfall des Risikos für eine Pathologie nach der Erfahrung bestimmter Arten von ELS (Scheidung der Eltern, körperlicher Angriff oder sexueller Missbrauch) festgestellt, bei dem die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer MDD 10 Jahre lang nach dem Unglück abnahm (bis ein OR von 1 erreicht wurde). Das Risiko für das Auftreten einer pathologischen Stimmungslage war also früh nach der Belastung am höchsten, aber die „Narben“ blieben bis zu ∼10 Jahre lang bestehen, obwohl es auch Hinweise darauf gibt, dass Personen, die zu diesem Zeitpunkt noch keine Pathologie erlebt hatten, möglicherweise widerstandsfähiger gegen die Entwicklung einer späteren Pathologie sind (Kessler et al., 1997). Es gibt also beträchtliche Hinweise darauf, dass eine Reihe von Stressoren, die im frühen Leben erlebt werden, als starke Risikofaktoren für die Entwicklung einer MDD dienen können. Es wurden jedoch auch die spezifischen Auswirkungen bestimmter Arten von ELS untersucht, wie z. B. sexueller Missbrauch in der Kindheit, niedriger sozialer Status und sogar elterliche Pathologie, die sowohl über genetische als auch über umweltbedingte Mechanismen ein Risiko darstellen können.

Sexueller Missbrauch in der Kindheit (CSA): Eine wachsende Zahl von Arbeiten befasst sich mit den Auswirkungen bestimmter früher Stressoren oder Traumata, z. B. CSA. CSA wurde sowohl bei Männern als auch bei Frauen durchgängig mit MDD im Erwachsenenalter in Verbindung gebracht, obwohl Berichte über CSA bei Frauen viel häufiger vorkommen (für eine Übersicht siehe Weiss, Longhurst, & Mazure, 1999). Insbesondere die Ergebnisse des National Comorbidity Survey zeigen, dass ∼13,5 % der Frauen von CSA berichten, während es bei den Männern nur ∼2,5 % sind; bei diesen Berichten wurde zwischen einzelnen und wiederholten Fällen unterschieden, und die meisten wurden von einem Verwandten oder Bekannten verübt. Wichtig ist, dass CSA bei Frauen mit einem erhöhten Risiko für Stimmungsstörungen verbunden war (OR, 1,8 für MDD), wobei fast 40 % der Frauen mit MDD eine CSA-Geschichte hatten. Andererseits war das Risiko für MDD bei Männern nach CSA nicht signifikant erhöht, obwohl es numerisch erhöht war, obwohl das Risiko für PTBS und Substanzkonsum sowohl bei Männern als auch bei Frauen, die CSA erlebt hatten, erhöht war. Interessanterweise war die Auswirkung von CSA besonders ausgeprägt bei Frauen, die keine anderen Widrigkeiten in der Kindheit erlebt hatten (OR, 3,8 für MDD), was nach Ansicht der Autoren auf besonders schädliche Auswirkungen dieses unerwarteten Vertrauensbruchs in einem ansonsten gesunden Umfeld hinweisen könnte (Molnar, Buka, & Kessler, 2001). Dies stellt einen wichtigen Gegensatz zu anderen Arbeiten dar, die überadditive Effekte mehrerer Arten von ELS zeigen (z.B. Kessler et al., 1997). Wichtig ist, dass diese Untersuchung auch auf einen gewissen zeitlichen Verfall der Auswirkungen des Missbrauchs hindeutet, wie dies auch allgemein von Kessler et al. (1997) angenommen wurde. Auch hier war die Wahrscheinlichkeit einer Depression früher nach dem Missbrauch höher (leichte MDD bei Jugendlichen, OR, 15,5) als im Erwachsenenalter (OR, 2,19 für MDD, 7,80 für wiederkehrende MDD) (Collishaw et al., 2007).

Sozioökonomischer Status: Ein niedriger sozioökonomischer Status in der Kindheit (im Allgemeinen durch das Haushaltseinkommen, den Bildungsstand der Eltern oder die Erwerbstätigkeit der Eltern indiziert) wurde als Risikofaktor für die Entwicklung einer MDD (Hazard Ratio1 = 1,57) sowie für ein häufigeres Wiederauftreten/Rückfall (Rate Ratio = 1,61) genannt (Gilman, Kawachi, Fitzmaurice, & Buka, 1999). Dieser Effekt scheint robust zu sein, selbst wenn man für eine Familienanamnese von MDD und den SES im Erwachsenenalter kontrolliert, was auf eine Schlüsselrolle des niedrigen SES in der Kindheit hindeutet (Gilman, 2002). Es hat sich auch gezeigt, dass Armut vor dem Alter von 5 Jahren im Längsschnitt eine erhöhte ängstlich-depressive Symptomatik im Alter von 14 Jahren vorhersagt (Spence, Najman, Bor, O’Callaghan, & Williams, 2002). Es gab auch einige Hinweise darauf, dass die Auswirkungen eines niedrigen sozialen Status bei Frauen stärker ausgeprägt sein könnten (Gilman, 2002; Spence et al., 2002). Interessanterweise deuten andere Arbeiten darauf hin, dass Kinder aus armen Familien zwar sowohl mehr internalisierende als auch mehr externalisierende Störungssymptome aufwiesen, der Weg aus der Armut aber nur die externalisierende Symptomatik linderte (allerdings über einen relativ kurzen Zeitraum von ∼4 Jahren in der Kindheit) (Costello, Compton, Keeler, & Angold, 2003).

Es ist wichtig anzumerken, dass ein niedriger SES im Allgemeinen mit einer Vielzahl anderer spezifischer chronischer und akuter Stressoren einhergeht und somit als Marker für eine allgemein erhöhte Stressbelastung oder für bestimmte Stressoren dienen kann, die für das Risiko einer MDD relevant sind. Doucet und Doucet (2003) untersuchten eine Reihe von Faktoren, durch die Armut das Depressionsrisiko bei Frauen beeinflussen kann. Obwohl sie sich nicht auf die Erfahrungen mit Armut in der Kindheit konzentrierten, wiesen sie auf viele Faktoren hin, die sich auch auf Kinder in Haushalten mit niedrigem SES auswirken können, entweder direkt oder indirekt über den Stress ihrer Eltern, einschließlich einer größeren Erfahrung mit belastenden Ereignissen, einer höheren Rate an Missbrauch, chronischem finanziellem Stress/Instabilität, Diskriminierung, Verlust finanzieller und medizinischer Ressourcen, elterlichem Stress, Verlust von sozialer Unterstützung und sozialem Stress. Schließlich ist noch anzumerken, dass einige Arbeiten darauf hindeuten, dass ein niedriger SES eher mit Angstzuständen als mit depressiven Störungen zusammenhängt (Kessler et al., 1994; Miech, Caspi, Moffitt, Wright, & Silva, 1999).

Parentale Psychopathologie: Eine elterliche Psychopathologie, insbesondere eine MDD, wird oft als einer der größten Risikofaktoren für die Entwicklung einer eigenen Depression angeführt. Mehrere prospektive Längsschnittstudien haben gezeigt, dass die Nachkommen (Kinder und Jugendliche) depressiver Eltern ein etwa dreimal höheres Risiko haben, eine MDD sowie Angst- und Drogenkonsumstörungen zu entwickeln (Lieb, Isensee, Höfler, Pfister, & Wittchen, 2002; Weissman et al., 2006; Williamson, Birmaher, & Axelson, 2004). Eine elterliche MDD ist auch mit einem früheren Beginn der MDD und einem schwereren Verlauf assoziiert (Lieb et al., 2002). Metaanalysen haben gezeigt, dass sowohl die mütterliche MDD (Goodman et al., 2011) als auch die väterliche MDD (Kane & Garber, 2004) eine erhöhte internalisierende Symptomatik bei den Nachkommen vorhersagen.

Es ist wichtig anzumerken, dass es oft schwierig ist, aus diesen Ergebnissen die Mechanismen herauszulesen, durch die die elterliche MDD das Risiko bei den Nachkommen erhöht. Wie aus den oben dargestellten Ergebnissen zur Erblichkeit hervorgeht, ist ein Teil dieses Risikos wahrscheinlich auf vererbte genetische und epigenetische Faktoren zurückzuführen. Wichtig ist jedoch, dass die elterliche Depression auch als umweltbedingter Risikofaktor hervorgehoben wurde, d. h. durch die Exposition gegenüber der elterlichen Depression oder gleichzeitigen Stressfaktoren vermittelt wird. Dies wurde in einer Vielzahl von Studiendesigns/Populationen eindeutig nachgewiesen, einschließlich der Modellierung von Daten aus einem Kinder-Zwillings-Design (Silberg, Maes, & Eaves, 2010) und Arbeiten, die eine erhöhte Depression bei genetisch nicht verwandten Nachkommen depressiver Eltern durch Adoption (Tully, Iacono, & McGue, 2008) oder durch In-vitro-Fertilisation (Harold et al., 2011) zeigen. Somit ist eine erhöhte frühe Stressbelastung wahrscheinlich ein hervorstechender Vermittler für die Auswirkungen der elterlichen Depression. Insbesondere hat sich gezeigt, dass die elterliche Psychopathologie mit anderen Arten von Widrigkeiten in der Kindheit zusammenhängt, darunter elterlicher Drogenmissbrauch und Kriminalität, familiäre Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung, wobei es kaum Hinweise auf spezifische Auswirkungen einer bestimmten Art von Stressoren auf das Pathologierisiko gab (Green et al., 2010). Darüber hinaus haben mehrere Studien SLEs bei den Nachkommen (Hammen, Hazel, Brennan, & Najman, 2012) und ein schlechtes elterliches/familiäres Umfeld (Burt et al., 2005; Garber & Cole, 2010) als wichtige Umweltmediatoren bei der intergenerationalen Übertragung von Depressionen identifiziert. Erziehungspraktiken können ebenfalls ein wichtiger Faktor sein, d. h. Mütter mit einer Depressionsanamnese und insbesondere mit einer aktuellen Depression zeigen weniger positive und mehr negative Erziehungspraktiken (Lovejoy, Graczyk, O’Hare, & Neuman, 2000). Wichtig ist, dass eine elterliche Geschichte von MDD auch als Moderator der Auswirkungen von Stress auf das Risiko für MDD dienen kann. So wurde beispielsweise festgestellt, dass SLEs nur bei Mädchen mit einer Vorgeschichte von MDD vorhersagbar waren, was möglicherweise auf eine Interaktion zwischen Gen und Umwelt oder auf eine Interaktion mit anderen zufälligen Faktoren wie Unterschieden in der Erziehung usw. hinweist. (Silberg, Rutter, Neale, & Eaves, 2001).

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